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Gericht: Oberlandesgericht Koblenz
Urteil verkündet am 17.02.2006
Aktenzeichen: 10 U 664/05
Rechtsgebiete: MB-KK 94
Vorschriften:
MB-KK 94 § 1 (2) | |
MB-KK 94 § 1 (2) Satz 1 |
OBERLANDESGERICHT KOBLENZ IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Geschäftsnummer: 10 U 664/05
Verkündet am 17. Februar 2006
in dem Rechtsstreit
Der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Weiss, die Richterin am Oberlandesgericht Schwager-Wenz und die Richterin am Oberlandesgericht Zeitler-Hetger auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2006
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 25. April 2005 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Es wird auf die Widerklage festgestellt, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, weitere Leistungen für die Fratzer-Diät zugunsten des Klägers zu erbringen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Der an Multipler Sklerose erkrankte Kläger begehrt von der Beklagten im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Krankheitskostenversicherungsvertrags (Bl. 23 - 38 d.A.) die Erstattung von im Monat August 1998 entstandenen Kosten für die Behandlung mit der so genannten Fratzer-Diät. Die Beklagte begehrt widerklagend die Feststellung, dass sie zu weiteren Leistungen für die Fratzer-Diät nicht verpflichtet ist. Nachdem die Beklagte zunächst die angefallenen Kosten der Fratzer-Diät übernommen hatte, lehnte sie eine weitere Kostenübernahme mit Schreiben vom 23.10.1998 ab.
Der Kläger hat vorgetragen,
die bei ihm angewandte Fratzer-Diät stelle eine medizinisch notwendige Therapie dar, die auf wissenschaftlich anerkannten Erkenntnissen beruhe und jedenfalls geeignet sei, sein Leiden zu lindern.
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 554,42 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4 % seit dem 1. November 1998 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
und widerklagend,
festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, weitere Leistungen für die Fratzer-Diät zugunsten des Klägers zu erbringen.
Der Kläger hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, diese Therapie sei weder medizinisch notwendig noch Erfolg versprechend. Zudem handele es sich bei den im Rahmen der Fratzer-Diät verordneten Präparaten nicht um Arzneimittel, sondern um nicht erstattungspflichtige Nahrungsergänzungsmittel.
Das Landgericht hat nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen PD Dr. med. Th. V... der Zahlungsklage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen, da es sich bei der Fratzer-Diät um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne von § 1 (2) MB-KK 94 in Bezug auf den Kläger handele und die Beklagte daher zur Kostenübernahme verpflichtet sei. Bei einer unheilbaren Krankheit wie der in Rede stehenden Multiplen Sklerose, für die es keine allgemein anerkannte Therapie gebe, sei die objektive Vertretbarkeit der Behandlung bereits dann zu bejahen, wenn die Behandlung mit nicht nur ganz geringer Erfolgsaussicht die Erreichung des Behandlungsziels als möglich erscheinen lasse. Aus den Ausführungen des Sachverständigen ergebe sich, dass Hintergrund der Fratzer-Diät ein medizinisch-wissenschaftlich nachvollziehbarer Ansatz sei; dass die Wirksamkeit der angewandten Methode in konkreten Studien noch nicht gesichert werden konnte und - nach den Ausführungen des Sachverständigen - zumindest teilweise hypothetisch sei, stehe der Annahme der medizinischen Notwendigkeit im Ergebnis nicht entgegen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags geltend macht, das Landgericht habe die von dem Bundesgerichtshof zur Auslegung des Begriffs der medizinischen Notwendigkeit aufgestellten Voraussetzungen verkannt. So sei unter anderem erforderlich, dass es für eine schwere, lebensbedrohende oder lebenszerstörende Erkankung keine in der Praxis angewandte Behandlungsmethode gebe, die zur Heilung oder Linderung oder Verhinderung einer Verschlimmerung geeignet sei. Nach dem Inhalt des Sachverständigengutachtens lägen diese Voraussetzungen jedoch nicht vor. Es gebe unterschiedliche etablierte Behandlungsmethoden für die Multiple Sklerose, die eine Linderung erreichen und auch eine Verschlimmerung verhüten würden.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen und festzustellen, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, weitere Leistungen für die Fratzer-Diät zugunsten des Klägers zu erbringen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das landgerichtliche Urteil und wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Sachvortrag.
Der Senat nimmt im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil sowie auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug (§ 540 Abs. 1 ZPO).
II.
Die Berufung ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch für die ihm im Rahmen der so genannten Fratzer-Diät verordneten Präparate nicht zu, da es sich dabei nicht um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne des § 1 (2) MB-KK 94 handelt. Dementsprechend ist die Beklagte nicht verpflichtet, weitere Leistungen für die Fratzer-Diät zugunsten des Klägers zu erbringen. Das landgerichtliche Urteil ist daher abzuändern und die Klage abzuweisen, während auf die Widerklage die von der Beklagten begehrte Feststellung ihrer fehlenden Leistungspflicht auszusprechen ist.
Nach § 1 (2) Satz 1 MB-KK 94 ist Versicherungsfall in der Krankheitskostenversicherung, der die Leistungspflicht des Versicherers auslöst, "die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen". Steht es - wie hier - außer Streit, dass die ärztliche Behandlung wegen einer Krankheit im Sinne dieser Klausel durchgeführt worden ist, muss der Versicherungsnehmer darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass es sich bei der Behandlung um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung gehandelt hat (BGH VersR 1996, 1224). Der Begriff der medizinisch notwendigen Heilbehandlung umfasst jegliche ärztliche Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung, Besserung oder auch Linderung der Krankheit abzielt. Dem ist eine ärztliche Tätigkeit gleich zu achten, die auf eine Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet ist. Bei der Prüfung, ob die Heilbehandlung als medizinisch notwendig im Sinne des § 1 (2) MB-KK 94 anzusehen ist, ist ein objektiver Maßstab anzulegen (BGH a.a.0.).
Die objektive Anknüpfung bedeutet, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommt. Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein. Demgemäß liegt eine "medizinisch notwendige" Heilbehandlung dann vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. Von der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung wird im Allgemeinen dann auszugehen sein, wenn eine Behandlungsmethode zur Verfügung steht und angewandt worden ist, die geeignet ist, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegen zu wirken (BGH a.a.0.; Senatsurteil vom 9. Februar 2001 - 10 U 604/99 -, VersR 2001, 1417).
Im vorliegenden Fall kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die Fratzer-Diät geeignet ist, eines dieser Behandlungsziele zu erreichen. Der erstinstanzliche Sachverständige PD Dr. med. V... hat ausgeführt, dass es an einem wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit dieser Therapie fehlt und diese zumindest teilweise hypothetisch ist. Damit steht die Eignung der angewandten Methode zur Erreichung einer Heilung, Linderung oder Verhinderung einer Verschlimmerung der Krankheit nicht fest.
Leidet der Versicherungsnehmer an einer unheilbaren Krankheit, für die es keine allgemein anerkannte Therapie gibt bzw. im Zeitpunkt der Vornahme der in Rede stehenden Behandlung nicht gab, kann auch eine solche Heilbehandlung noch als notwendig angesehen werden, der zwar Versuchscharakter anhaften mag, die aber jedenfalls - medizinisch begründbar - Aussicht auf Heilung oder Linderung verspricht (BGH a.a.0.). Davon ist im vorliegenden Fall indes nicht auszugehen. Der erstinstanzliche Sachverständige PD Dr. med. V... hat in seinen verschiedenen gutachterlichen Äußerungen jeweils ausgeführt (Bl. 169 - 172, 277, 430 d.A.), dass es wirksame schulmedizinische, wissenschaftlich belegte Therapien zur Behandlung der Multiplen Sklerose gibt. Damit gibt es eine unbestritten wirksame Therapie für die Erkrankung des Klägers.
Demgemäß stellt sich die Sachlage im vorliegenden Fall anders dar als in dem von dem BGH in VersR 1996, 1224 entschiedenen Fall. Dieser Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem es für eine schwere, lebensbedrohende oder gar lebenszerstörende Krankheit keine unbestritten wirksame und lebensverlängernde Therapie gab. Nur für diesen Fall hat der BGH unter der Voraussetzung, dass es selbst für eine auf Verhinderung einer Verschlimmerung der Krankheit abzielende Heilbehandlung keine in der Praxis angewandte Behandlungsmethode gibt, bei der nach medizinischen Erkenntnissen davon ausgegangen werden kann, dass sie zur Herbeiführung wenigstens dieses Behandlungsziels geeignet ist, eine auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbarem Ansatz beruhende Behandlungsmethode, die als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung oder zumindest auf ihre Verlangsamung hinzuwirken, als medizinisch notwendig angesehen. Zwischen den Parteien ist jedoch unstreitig, was der Kläger auch in der Berufungserwiderung (Bl. 516 d.A.) bestätigt, dass es allgemein anerkannte Methoden der Behandlung der Multiplen Sklerose gibt, was im Übrigen auch der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat.
Demnach können die dem Kläger im Rahmen der Fratzer-Diät verordneten Präparate nicht als medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne des § 1 (2) MB-KK 94 angesehen werden. Die Beklagte ist somit nicht zur Erstattung der dafür angefallenen Kosten verpflichtet. Die Klage ist daher abzuweisen und auf die Widerklage der Beklagten die Feststellung auszusprechen, dass sie nicht zu weiteren Leistungen für die Fratzer-Diät zugunsten des Klägers verpflichtet ist.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 7.904,42 € (Klage: 554,42 €; Widerklage: 7.350 €) festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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